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Sommertaugliches Bauen wird in neuer Richtlinie völlig missachtet

Die Novelle der Gebäuderichtlinie 2010 tut es. Der Österreichische Klimabericht 2014 tut es auch. Nachhaltig planende Architekten tun es schon seit Jahren. Aber die Richtlinien des Österreichischen Instituts für Bautechnik Nr. 6 tun es nicht mehr. Die Rede ist von der Forderung der passiven Vermeidung sommerlicher Überwärmung.

Dabei läuft die gegenständliche Fassung der OIB-Richtlinie 6 unter dem Titel „Energieeinsparung und Wärmeschutz“. Und letzteres betrifft einerseits die Reduktion des Heizwärmebedarfs im Winter, andererseits aber ebenso die Vermeidung von sommerlicher Überwärmung in der heißen Jahreszeit und damit die Vermeidung elektrischer Klima- und Kühlgeräte. Bisher war im Energieausweis ersichtlich, ob dieser Nachweis geführt bzw. erfüllt wurde. In den Erläuterungen zur jüngsten Novelle der OIB-RL6 vom März dieses Jahres steht allerdings nun schwarz auf weiß: „Völlig neu ist das Abgehen der Forderung der passiven Vermeidung sommerlicher Überwärmung“. Begründet wird dies mit dem Argument, dass neue Normen und steigende Temperaturen im Bereich des sommerlichen Wärmeschutzes zu Mehrkosten führen könnten – gemeint sind damit jegliche Art von starren oder beweglichen Sonnenschutzmaßnahmen. Ing. Johann Gerstmann, Sprecher des Bundesverbandes Sonnenschutztechnik in Österreich: „Es ist kaum zu fassen, welchen Rückschritt man mit dieser Überarbeitung geht. Wir wissen, dass dichte Gebäudehüllen und ein stetig steigender Glasflächenanteil der Fassaden das Überwärmungsrisiko in die Höhe treibt. Auch die Expertenbefragung „Zukunft Bauen“ weist alle Jahre wieder die sommerliche Überwärmung als eine der größten Herausforderungen aus.“ Die neue OIB-Richtlinie 6 löse das Problem sicherlich nicht, indem die tagsüber eingebrachte Wärme in der Nacht weggelüftet werden soll. Gerstmann: „Dieses Modell ist reine Theorie und geht an den Bedürfnissen der Bewohner völlig vorbei!“

 

 

Teure Themenverfehlung

 

Zum einen muss der Energieausweisersteller nicht mit dem tatsächlichen Standortklima rechnen: Das bedeutet, dass dicht verbaute Gebiete unberücksichtigt bleiben. Zum anderen darf nun die Komfortgrenze von 27 °C in zehn Jahren an 130 Tagen überschritten werden – also im Schnitt 13 Tage pro Jahr und auch mehr, da die Tage nicht gedeckelt sind. Und darüber hinaus darf ohne Rücksicht auf die Bewohner in der Nacht gelüftet werden, um die gespeicherte Wärme wieder abzuführen. Gerade in Hitzeperioden mit nächtlichen Außentemperaturen über 20 °C funktioniert die Nachtlüftung in der Praxis nicht – die Schlafzimmer werden zur Sauna und die Raumtemperaturen steigen von Tag zu Tag! Und die hohen Luftwechselraten mit entsprechender Zugerscheinung sind ebenso nicht gerade schlaffördernd.
Gerstmann: „Um es auf den Punkt zu bringen – man denke an eine Jungfamilie mit Kleinkind. Am Tag schwitzen alle in der Wohnung, und in der Nacht ist an tiefen und entspannten Schlaf nicht zu denken. Was wird die Familie tun? Sie geht zum nächstgelegenen Baumarkt, kauft sich ein fernöstliches Klimagerät und schließt es an die Steckdose an. Nun darf man sich zu Recht fragen: Wo ist die Kosten- und Energieeinsparung? Der Bauträger hat sich die Kosten für den Einbau einer zweckmäßigen Verschattung gespart, löst aber das Problem der sommerlichen Überwärmung nicht, sondern hängt es den Bewohnern um!“
Außerdem ist in den Erläuterungen zur OIB-RL 6 explizit zu lesen, dass jeglicher Schutz der Bewohner hinsichtlich Einbruch, Witterung und Lärm unberücksichtigt bleibt. Diese dürfen sich gegebenenfalls über ein Zivilgericht mit dem Errichter des Wohngebäudes streiten, was bekanntlich schwierig und teuer ist!
Die Internationale Energieagentur IEA weist in ihrem Technologieleitfaden für energieeffiziente Gebäudehüllen auf die Gefahr des steigenden Energieverbrauchs fürs Kühlen hin und fordert, dass Gebäude mit außenliegenden Verschattungen Standard werden sollten.

Wohnkosten sparen, nicht verschieben

 

Wohnen muss leistbar bleiben – aber hier werden keine Kosten gespart, sondern lediglich verschoben und sogar erhöht. Und offensichtlich ist es politischer Wille, im Energieausweis den Kühlenergiebedarf nicht abzubilden, denn an einem Grundsatz hält man weiterhin fest: Wohngebäude müssen ohne mechanische Kühlung geplant und errichtet werden. Dafür gibt die Richtlinie praxisferne Annahmen vor, um zumindest auf dem Papier diesen Nachweis zu erbringen – die Realität sieht gänzlich anders aus. Der Bundesverband Sonnenschutztechnik hat auch einen Gedankenanstoß für Wohnbauverantwortliche: Der Gebäudebestand benötigt immer weniger Energie fürs Heizen. Dadurch werden sich die Heizkosten und deren Zuschüsse nachhaltig reduzieren. Um dem drohenden Energieanstieg beim Kühlen Einhalt zu gebieten und allfälligen Kühlkosten-Zuschüssen vorzubauen, fehlt es schlicht und ergreifend an Finanzierungsmodellen für passive, sommerliche Wärmeschutzmaßnahmen. Ein Nullsummenspiel, wenn man die Sache ganzheitlich betrachtet: Was auf der einen Seite eingespart wird, kann für sinnvolle Maßnahmen auf der anderen Seite reinvestiert werden! Die Empfehlung, dass Sonnenschutztechnik gefördert werden sollte, gibt auch der Klimarat in dem im Vorjahr veröffentlichten Sachstandsbericht zum Klimawandel in Österreich ab!
Gerstmann weist außerdem auf die derzeit gültige EU-Gebäuderichtlinie 2010 hin, die besagt, dass bei der Methode zur Berechnung der Energieeffizienz nicht nur die Heizperiode eines Jahres, sondern die jährliche Gesamtenergieeffizienz eines Gebäudes zugrunde gelegt werden sollte: „Wenn es ernst gemeinter politischer Wille wäre, ganzheitlich den Energiebedarf für Wohngebäude zu reduzieren, dann funktioniert Wärmeschutz im Sommer  am effektivsten mit beweglichem Sonnenschutz. Die Sinnhaftigkeit passiver und insbesondere flexibler Schutzmaßnahmen ist längst bekannt und nachgewiesen. Sonnenschutz in Kombination mit einer für Bewohner akzeptablen Nachtlüftung ist quasi eine passive Klimaanlage mit einer extrem positiven CO2-Bilanz! Diese Technologie nicht zu fördern, sondern wegen der Anschaffungskosten einzusparen, aber in der Praxis nicht sommertaugliche Häuser zu errichten, zeigt, wie unehrlich hier agiert wird.“

 

 

Die Hoffnung bleibt

Die Erläuterungen zur OIB-RL halten jedenfalls fest, dass die gegenständliche Neufassung aus verschiedenen Gründen bereits die Notwendigkeit einer nächsten Fassung einschließt. Dies hat mehrere Gründe: Die Überprüfung des Nationalen Plans, die methodische Weiterentwicklung, insbesondere der Raumlufttechnik und des Kühlenergiebedarfs und eventuell des Beleuchtungsenergiebedarfs. Vor allem aber auch die Berücksichtigung des Klimawandels und der daraus abzuleitenden Änderungen der Standort-Klimadaten. Gerstmann: „Das klingt für mich nach der Vertagung unbequemer Themen in einem Jahr mit vielen Landtagswahlen! Aber vielleicht geht man sie ja in der nächsten Version doch tatsächlich aktiv an!“

 

Quellen und Links:
www.oib.or.at/de/guidelines/richtlinie-6-1
eur-lex.europa.eu/LexUriServ/LexUriServ.do?uri=OJ:L:2010:153:0013:0035:DE:PDF
www.apcc.ac.at/4%20-%20Report.html

www.iea.org/publications/freepublications/publication/TechnologyRoadmapEnergyEfficientBuildingEnvelopes.pdf
www.expertenbefragung.com/index.php/zukunft-bauen/zukunft-bauen-2015
www.bvst.at